Ziviles Lobbying in der Europäischen Union Formalisierung und Legitimierung am Beispiel der Konsultationen zur Antidiskriminierungspolitik

Forschungsexposé zum Dissertationsprojekt
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I. Hintergrund

Im Zuge fortschreitender Liberalisierung von Kapital-, Dienstleistungs- und Warenverkehr in den 90er Jahren entstand eine internationale Protestbewegung gegen diese neoliberale Politik und ihre sozialen Auswirkungen. Im Mittelpunkt der Kritik standen nicht nur jene europäischen und internationalen Organisationen, welche mit der Implementierung dieser Politik beauftragt waren, sondern auch die intransparenten, exklusiven und undemokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Organisationen.

Die massiven und teilweise gewalttätigen zivilen Proteste von politischer Seite weiterhin zu ignorieren hätte auf Dauer nur mehr (Image-)Schaden angerichtet. Daher wurde innerhalb der Organisationen über die Aufnahme wie auch über eine Intensivierung eines Dialogs mit den KritikerInnen nachgedacht. So hieß es beispielsweise in der Presseaussendung des Rates vom 16. Juli 2001, nach dem Gipfel von Göteborg, dass die MinisterInnen einen konstruktiven Dialog mit den Sozialpartnern, NGOs und anderen VertreterInnen der Zivilgesellschaft über die Globalisierung und deren Auswirkungen für nützlich erachten. In den kommenden Jahren soll sich die EU mit der Debatte sowie dem Dialog mit der europäischen Zivilgesellschaft[1] befassen.[2]

Speziell die Europäische Kommission, allen voran die Generaldirektion für Handel, hatte bereits 1998 begonnen, den Dialog mit VertreterInnen der Zivilgesellschaft schrittweise zu etablieren. Seit November 1998 gab es informelle Treffen der Generaldirektion für Handel und NGOs, allerdings noch auf Ad-hoc-Basis [3], die sich mittlerweile zu regulären Treffen entwickelt haben, die alle zwei Monate statt finden.

Im Januar 2000 veröffentlichte die Kommission ein Diskussionspapier über den „Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen“. NGOs, als ein wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft, können eine partizipnative Demokratie innerhalb wie außerhalb der EU stärken (vgl. KOM 2000: 5) und daher möchte die Kommission „dort, wo die Partnerschaft zufriedenstellend ist, keine Hürden“ aufbauen, sondern vielmehr „bewährte Praktiken auf alle Bereiche übertragen“ (KOM 2000: 3). Damit wurde der Grundstein für eine Ausweitung des zivilen Dialogs auf alle Politikbereiche der Kommission gelegt.

Ein Jahr später präsentierte die Kommission das Weißbuch über „Europäisches Regieren“, in dem die Einbindung und Teilhabe der „organisierten Zivilgesellschaft“ an europäischen Entscheidungsprozessen zu einem elementaren Bestandteil des kommissarischen Governance-Konzepts erklärt wurde. Schließlich fand die Einbeziehung der Zivilgesellschaft auch Einzug in den Verfassungsvertrag. Die Grundsätze der demokratischen Gleichheit (Art. I-36) und der repräsentativen Demokratie (Art. I-46) wurden um den Grundsatz der partizipativen Demokratie (Art. I-47) ergänzt. Dieser legt fest, dass die Organe der Union einen „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft“ (Art. I-46 Abs. 2) pflegen sollen und, dass die Kommission umfangreiche Anhörungen von Politik-Betroffenen durchführt, um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten (Art. I-46 Abs. 3).

Das Inkrafttreten des europäischen Verfassungsvertrages scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ungewiss, dennoch führt die Kommission schon jetzt umfangreiche Anhörungen Politik-Betroffener, in Form von Konsultationen durch, die sie reguliert und zunehmend formalisiert.

 

 

II. Fragestellung und Thesenformulierung

1. Warum werden auf europäische Ebene vermehrt zivilgesellschaftliche Akteure in den Politik-Prozess miteinbezogen?

1.1 Legitimation [4] der Kommission

Nicht nur die geringe Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, die zunehmende Ablehnung der BürgerInnen, die massiven Proteste oder das viel bemängelte Legitimationsdefizit der Union (vgl. Abromeit 1997, 1998, Leinen 2001, Kielmansegg 1996, kritisch: Majone 1998, Moravcsik 2002) sowie die Skandale um die Kommission Santer führten in der Debatte um die Reform des europäischen Regierens zu einer verstärkten Einbindung der Zivilgesellschaft: „(…) the legitimacy crisis of the European Institutions, and in particular of the Commission, led to the discovery of civil society as a basis for adminstrative reform and as a source of legitmation.“ (Smismans 2003: 478). Dieser Prozess wird auch von institutionellen Eigeninteressen der Kommission gestützt, die der Zivilgesellschaft im Diskurs über „besseres“ Regieren eine legitimierende Kraft zuschreibt. Nicht nur der politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, sondern auch die Kommission als Institution sollen durch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft besser legitimiert werden.

Im Sinne eines klassisch-nationalstaatlichen Demokratieverständnisses kommt der Kommission selbst keine ausreichende Legitimationsgrundlage zu, obwohl sie über ein entscheidendes politisches Machtinstrument, nämlich über das Initiativrecht [5] verfügt. Die Legitimation des Europäischen Parlaments hingegen stützt sich auf die direkte Wahl seiner über 700 Mitglieder. Der Rat bezieht seine Legitimation daraus, dass er die Mitgliedstaaten im Rahmen der Vertretung der demokratisch gewählten Regierungen, repräsentiert. Das EP stellt also die direkte Verbindung zu den BürgerInnen dar und der Rat zu den Mitgliedstaaten. Weder die Kommission noch ihr Präsident werden direkt oder indirekt von den BürgerInnen gewählt. Sie verfügt somit über kein Repräsentationsmandat der BürgerInnen oder Staaten. Die Kommission wurde als „Hüterin der Verträge“ konzipiert und soll die Interessen der Gemeinschaft unabhängig gegenüber den nationalstaatlichen Eigeninteressen schützen, sowie die Integration vertiefen.

In der Diskussion um die Bestrebungen einer Demokratisierung der Union stand lange eine Parlamentarisierung des Systems im Vordergrund. Allerdings verliert dieses Konzept zur Behebung des Demokratiedefizits immer mehr an Bedeutung. Fraglich ist nämlich, ob europäisches Regieren überhaupt an Maßstäben nationalstaatlicher, parlamentarischer Mehrheitsdemokratien gemessen werden soll und kann. Außerdem wird davon ausgegangen, dass eine solche Demokratisierung des Systems „an bestimmte Voraussetzungen gebunden“ (Kielmansegg 2003: 56) ist. Eine dieser Voraussetzungen ist das viel bemängelte europäische Volk. Genau hier setzt auch das kommissarische Konzept einer Zivilgesellschaft in der Europäischen Union an.

Das Governance-Konzept der Kommission und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, die in den Augen der Kommission den Belangen der BürgerInnen eine Stimme verleiht (vgl. KOM 2001: 19), ermöglichen prinzipiell jenen, die von der Politik betroffen sind bzw. jenen, die angeben die Politik-Betroffenen zu vertreten, im europäischen Politik-Prozess zur partizipieren. Das nationalstaatliche Konzept des Staatsbürgers rückt somit in den Hintergrund. Anstelle oder zusätzlich zu der garantierten Inklusion und Partizipation über die StaatsbürgerInnenschaft (vgl. Holland-Cunz 2004: 132/133) treten oder kommen dynamisch funktionale, sektorale und soziale Interessengemeinschaften hinzu, die ausdrücklich zur Partizipation aufgefordert werden. „Relying on the deliberative theory of democracy Wolf assumes that truth-seeking behaviour, openness to persuasion, and argumentative consistency will replace the pre-political we-identity of territorial communities as trust-generating mechanisms. (Gbikpi/Grote 2002: 22) Mit diesem Konzept erübrigt sich gewissermaßen die Diskussion darüber, ob überhaupt von einem europäischen Volk gesprochen werden kann oder nicht.

Die Kommission schreibt den Organisationen der Zivilgesellschaft [6] eine direkte Verbindung zu den Menschen, die von der EU-Politik betroffen sind, zu und verleiht ihnen somit einen repräsentativen Charakter. Durch die Etablierung eines ständigen Dialogs mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen schafft sich die Kommission selbst eine bessere Legitimation für sich einerseits und für ihre politischen Initiativen andererseits. Geht es um die Annahme oder Ablehnung einer Initiative, so ist die Kommission, aufgrund der unfangreichen Konsultationen, mit speziellem Fachwissen ausgestattet und kann sich stets darauf berufen (vgl. Mazey/Richardson 2001:81). Womit wiederum ihre Position im Machtgefüge des institutionellen Dreiecks der Union gestärkt wird, da sie ihre Initiativen durch explizites Fachwissen besser argumentieren kann. Ferner hat sie jederzeit die Möglichkeit, auf einen gewaltigen Pool an Fachwissen zurück zu greifen.

Außerdem schlüpft die Kommission in die Rolle einer „Netzwerkorganisation“, weil sie zu einer Anlaufstelle für die unterschiedlichsten Akteure wird (vgl. Laffan 2002: 123). Durch die umfangreichen Konsultationen, welche die Kommission bereits im Vorfeld von politischen Initiativen durchführt, wird für sie wiederum deutlich, welche Maßnahmen konsensfähig und tatsächlich implementierbar sind und welche nicht.

 

1.2 Bestreben der Zivilgesellschaft

Nicht nur die Kommission ist an umfangreichen Konsultationen Politik-Betroffener interessiert, sondern auch die unterschiedlichen Organisationen der Zivilgesellschaft wollen partizipieren, um ihre Interessen in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess der Union effektiver einzubringen: „Da mächtige Wirtschaftslobbys nicht einfach verboten werden können, wird am Aufbau von Gegenlobbys der Zivilgesellschaft kein Weg vorbeiführen.“ (Felber 2006: 301).

Auf Seiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen kommt es zu einer zunehmenden Professionalisierung der Interessenvertretung. Die wiederum dadurch unterstützt wird, dass die Kommission diverse zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere diejenigen, die sich zu Dachorganisationen zusammenschließen, finanziell fördert. Neben dieser Förderung übt die Kommission beispielsweise auch durch das Festlegen von formalen Aufnahmekriterien in die Datenbank CONNECS [7] Einfluss auf die Strukturen der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus. Somit wird deutlich, dass soziale Bewegungen zwar formell privat sind, aber dennoch (macht-)politischem Einfluss ausgesetzt sind (vgl. Brand/Brunngräber/Schrader 2000: 72/73). Ferner kann beobachtet werden, dass sich die Sprache und das Verhalten von VertreterInnen der Zivilgesellschaft, die als GesprächspartnerInnen anerkannt wurden, dem Habitus der politischen Eliten anpassen (vgl. Sending 2006: 667).

Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützen und fördern außerdem das Bestreben der Kommission einen regelmäßigen zivilen Dialog zu etablieren. Denn dies stellt die Basis für eine inklusive und dynamische europäische Zivilgesellschaft dar (vgl. Plattform of European Social NGOs 2000: 7). Gerade NGOs sprechen für alle diejenigen, die (bisher) keine Stimme im System hatten (vgl. Plattform of European Social NGOs 2001: 4) und „NGOs are directly representative of particular groups, whether of other NGOs or of citizens“, „yet more NGOs ‘represent’ or advance public interests, ideas, issues or values” (Platform of European Social NGOs 2001: 4).

 

2. Warum wird ihre Teilhabe zunehmend reguliert und teilweise formalisiert?

2.1 Legitimation der Entscheidungen

Um die Legitimation von europäischen Entscheidungen tatsächlich zu erhöhen ist eine Nachvollziehbarkeit der durchgeführten Konsultationen notwendig. Dies kann einerseits durch eine erhöhte Transparenz des Verfahrens und andererseits durch die Gewährleistung eines offenen Konsultationszugangs für Politik-Betroffene gewährleistet werden. Hierzu ist es allerdings nötig formale Strukturen und Regeln zu schaffen, die Offenheit und Transparenz sicherstellen, wodurch die Einflussnahme von Akteuren auf den politischen Prozess kontrollierbar und nachvollziehbar werden kann. Außerdem kann durch formale Kriterien und Regeln sichergestellt werden, dass für alle Akteure die gleichen Ausgangsbedingungen für Partizipation hergestellt werden.

 

2.2 Organisatorische Notwendigkeit

Aufgrund der zahlreichen Organisationen, die auf den europäischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess Einfluss nehmen wollen, sind formale Regeln notwendig, um das System überschaubar und verwaltbar zu machen. Für die Kommission ist es außerdem wichtig zu wissen welche Organisationen zu welchen Politikbereichen konsultiert werden können.

 

3. Kann das Partizipationskonzept der Kommission ein alternatives Modell zur Parlamentarisierung der EU sein?

Der Verlust von oder mangelnde parlamentarischer Partizipation, sei es auf nationalstaatlicher oder europäischer Ebene, ist ebenso deutlich wie die Notwendigkeit einer Suche nach (neuen) politischen Partizipationsformen jenseits der Nationalstaaten. Gerade Modelle der deliberativen und partizipativen Demokratietheorie setzten hier an.

Die von der Kommission eingeleitete Debatte über europäisches Regieren greift Elemente dieser Theorien auf und versucht ihr Konzept von zivilgesellschaftlicher Partizipation und deliberativen Beratungsgremien als Legitimationsressource für sich und für europäische Politik zu etablieren. Durch eine Formalisierung und Regulierung soll dieser Prozess gestützt werden. Doch welchen normativen Prinzipien müsste dieses Konzept entsprechen, um tatsächlich eine besser Legitimationsbasis zu schaffen und europäische Politik jenseits traditioneller mehrheitsdemokratischer Denkmuster zu demokratisieren? Anhand von normativen Kriterien soll gemessen werden, inwieweit die bereits umgesetzte Formalisierung der zivilgesellschaftlichen Partizipation einen Beitrag zur Demokratisierung der Union leisten kann und zu einer Erhöhung der Legitimation beitragen kann.

 

3.1 Zugang

Eine der wichtigsten Grundvorrausetzungen für effektive Partizipation ist der gleichberechtigte Zugang für Politik-Betroffene: „access to such a process becomes a crucial feature of democracy at the international level“ (Bohman 1999: 500) Die formalen und informalen Regeln über den Zugang zum politischen Willens- und Entscheidungsbildungsprozess sind ausschlaggebend für eine effektive und erfolgreiche Interessenvertretung von Politik-Betroffenen. Die Regeln für den Zugang sollten so gestaltet sein, dass alle Politik-Betroffenen das Recht auf Partizipation haben und dieses gegebenenfalls einklagen können.

 

3.2 Transparenz

Um partizipieren zu können muss die/der Betroffene erstens wissen, dass es eine Möglichkeit zur Partizipation gibt, zweitens den Zugang zu den relevanten Informationen haben und drittens über die Regeln der Konsultationen Bescheid wissen.

 

3.3 Inklusion

Es muss sichergestellt werden können, dass tatsächlich alle Politik-Betroffenen und ihre Argumente gehört wurden. Entscheidend dabei ist es, dass auch alle Politik-Betroffenen ausfindig gemacht werden. Schmitter verwendet hier den Begriff „holders“, um jene Betroffenen oder jene die über relevante Informationen verfügen ausfindig zu machen. (vgl. Schmitter 2002: 62). Es soll vor allem auch darum gehen, Gruppen mit einzubeziehen, die bisher, sei es im nationalstaatlichen oder internationalen System, nicht die Möglichkeit hatten zu partizipieren. Es sollte nicht nur davon ausgegangen werden, dass die Organisationen an die Kommission heran treten, sondern auch die Kommission Gesprächspartner sucht.

Es besteht die Notwendigkeit, dass besonders unterrepräsentierte Gruppen spezielle Rechte oder auch Förderungen erhalten, um bestehende Barrieren, Benachteiligungen und Unterdrückungen zu reduzieren und letzten Endes zu beseitigen (vgl. Young 1993: 269). Ein inklusives Partizipationskonzept sollte Rücksicht auf die verschiedenen sozialen Gruppen nehmen, um so auf die unterschiedlichen Bedürfnisse besser eingehen zu können (vgl. Young 1993: 276). Nur so kann der politische Prozess eine effektive und effiziente Politik für Betroffene hervorbringen. Vor allem auch die Formalisierung einer ausdrücklichen Anerkennung und Repräsentation unterdrückter Gruppen (vgl. Young 1993: 279), wäre ein entscheidender Schritt in Richtung einer fairen und gleichen Partizipation.

 

3.4 Feedback

Es ist nicht ausreichend, zivilgesellschaftlichen Organisationen Hoffnung auf Mitbestimmung durch das kommissarische Partizipationskonzept zu machen. Es muss auch eine reale Möglichkeit existieren, auf den politischen Prozess Einfluss zu nehmen. Daher ist es notwendig, dass die Kommission Stellung bezieht, ob und warum sie diese oder jene Forderung der Organisation annimmt oder ablehnt.

Einerseits muss für die Organisationen die Möglichkeit bestehen, Auswirkungen, die getroffene politische Entscheidungen oder geplante Maßnahmen auf sie haben, öffentlich zu machen und ihre Positionen einzubringen (vgl. Young 1993: 283). Andererseits müssen die Entscheidungsträger verpflichtet sein, zu zeigen, dass ihre Perspektiven in die Überlegungen und im Prozess mit einbezogen worden sind (vgl. Young 1993: 283).

 

3.5 Vetorechte

Ein weitreichender Schritt wäre die Einführung von einem sektoralen, regionalen oder funktionalen Vetorecht für Politik-Betroffene. Betroffene Gruppen sollten das Recht zugesprochen bekommen ein Veto gegen politische Maßnahmen einzulegen, die sie im Speziellen betreffen (vgl. Young 1992: 283). Insbesondere, wenn diese Maßnahmen dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten zu verstärken oder beizubehalten. Das eingebrachte Veto müsste jedoch von der jeweiligen Organisation begründet werden.

 

4. Offene Fragen

Wie können zivilgesellschaftliche Organisationen einer nötigen Rechenschaftspflicht (Accountability) besser nachkommen?

 

 

III. Theoretischer Hintergrund

Um das komplexe Verhandlungssystem im europäischen Politikgestaltungsprozess zu untersuchen und zu verstehen wird primär das Governance-Konzept herangezogen. Entscheidungen in der EU können nur in Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen mit Beteiligung nationaler Regierungen und Verwaltungen sowie von Interessengruppen getroffen werden, weshalb die Aufrechterhaltung des institutionellen Gleichgewichts genauso zu Governance gehört wie Politiknetzwerke und organisierte Verhandlungssysteme (vgl. Benz 2004: 23).

Modelle partizipativer und deliberativer Demokratietheorie versuchen demokratische Herrschaftsstrukturen auch jenseits des Nationalstaates zu entwerfen. Insofern wird in Anlehnung an partizipative und deliberative Demokratiekonzepte anhand von bestimmten normativen Elementen untersucht, warum das kommissarische Konzept der zivilgesellschaftlichen Einbindung einen Beitrag zur Demokratisierung und Legitimisierung der Union bzw. ihren Entscheidungsstrukturen sowie ihrer Politik leisten kann oder womöglich nicht leisten kann.

 

 

IV. Gliederung

Im ersten Teil der Dissertation wird neben der Begriffsdefinition ein historischer Überblick über die Etablierung des zivilgesellschaftlichen Dialogs in der Europäischen Union gegeben. Im Anschluss wird eine Bestandsaufnahme des Status Quo über die Konsultationen gemacht und untersucht, inwieweit die von der Kommission formulierte Mindeststandards den definierten normativen Kriterien entsprechen.

Im zweiten Teil der Dissertation wird anhand der Konsultationen zur europäischen Antidiskriminierungspolitik untersucht, wie die von der Kommission formulierten Mindeststandards angewandt werden und ob die Durchführung der Konsultationen den definierten normativen Elementen gerecht werden (können).

Im Abschluss soll versucht werden zu zeigen, warum eine zivilgesellschaftliche Einbindung in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einen Teil zur Demokratisierung und Legitimierung der Europäischen Union leisten kann bzw. warum nicht.

 

 

V. Methode

Für den historischen Überblick über den zivilgesellschaftlichen Dialog in der EU sowie die Bestandsaufnahme des Status Quo wird vor allem Literatur über die europäische Integration, den Policy-Prozess und die Demokratisierung der Union sowie offizielle Dokumente der Kommission und zivilgesellschaftlicher Organisationen herangezogen. Zur Darstellung der rechtlichen Grundlagen für Interessenartikulation dient das Primär- und Sekundärrecht sowie Soft-Law der Europäischen Union. Literatur zur deliberativen und partizipativen Demokratietheorie dient zur Festlegung von normativen Kriterien für legitime Partizipationsformen und Regeln des Konsultationsprozesses.

Für den empirischen Teil der Dissertation werden relevante offizielle Dokumente, Statements, Berichte etc. von der Europäischen Kommission, Akteuren der europäischen Zivilgesellschaft und anderen involvierten relevanten politischen Akteuren analysiert. Außerdem sollen halbstrukturierte bis offene Interviews mit Akteuren der europäischen Zivilgesellschaft und KommissionsmitarbeiterInnen geführt werden.

 

 

VI. Verwendete Quellen

Abromeit, Heidrun (1997): Überlegungen zur Demokratisierung der Europäischen Union, in: Wolf, Klaus Dieter (Hg.): Projekt Europa im Übergang? Probleme, Modelle und Strategien des Regierens in der Europäischen Union, Baden-Baden, Seite 109-123.

Abromeit, Heidrun (1998): Democracy in Europe. Legitimising Politics in a Non-State Polity, New York/Oxford.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, C329/30, Brüssel, 17.11.1999.

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Benz, Arthur (2004): Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?, in: Benz, Arthur (Hg.): Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, Wiesbaden, Seite 11-26.

Brand, Ulrich/Brunngräber, Achim/Schrader, Lutz/Stock, Christian/Wahl, Peter (2004): Global Governance. Alternativen zur neoliberalen Globalisierung?, Münster.

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Felber, Christian (2006): Unser Europa, in: ATTAC (Hg.): Das kritische EU-Buch. Warum wir ein anderes Europa brauchen, Wien, Seite 299- 314.

Gbikpi, Bernard/Grote Jürgen R. (2002): From Democratic Government to Participatory Governance, in: Diess (Hg.): Participatory Governance. Political and Societal Implications, Opladen, Seite 17-34.

Holland-Cunz, Barbara (2004): Demokratie – StaatsbürgerInnenschaft – Partizipation, in: Rosenberger, Sieglinde K./Sauer, Birgit (Hg.): Politikwissenschaft und Geschlecht, Wien, Seite 127-148.

Kielmansegg, Peter Graf (1996): Integration und Demokratie, in: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate (Hg.): Europäische Integration, Opladen, Seite 47-71.

KIELMANSEGG, Peter Graf (2003): Integration und Demokratie, in: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate (Hg.): Europäische Integration, 2. Auflage, Opladen, Seite 49-83.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2000): Diskussionspapier der Kommission. „Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen“, KOM(2000) 11 endg., Brüssel, den 18.1.2000.

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LAFFAN, Brigid (2002): The European Commission: Promoting EU Governance, in: GROTE, Jürgen R. / Gbikpi, Bernard (Hg.): Participatory Governance. Political and Societal Implication, Opladen, Seite 121-139.

Leinen, Josef (2001): Die politische Notwendigkeit einer europäischen Verfassung, in: Schirm, Magda (Hg.): Eine Verfassung für Europa?, Frankfurt a.M, Seite 13-21.

MAJONE, Giandomenico (1998): Europe’s ‘Democratic Deficit’: The Question of Standards, in: European Law Journal, Vol. 4, No. 1, March 1998, 5-28.

Mazey, Sonia/Richardson, Jeremy (2001): Institutionalizing Promiscuity: Commission-Interest Gorup Relations in the EU, in: Sweet, Alec Stone/Sandholtz, Wayne/Fligstein, Neil (Hg.): The Institutionalization of Europe, Oxford, Seite 71-93.

MORAVCSIK, Andrew (2002): In Defence of the ‘Democratic Deficit’: Reassessing Legitimacy in the European Union, in: Journal of Common Market Studies, Vol. 40, Number 4, 603-24.

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Schmitter, Philippe C. (2002): Participation in Governance Arrangements: Is there any Reason to Expect it will Achieve “Sustainable and Innovative Policies in a Multilevel Context”?, in: Gbikpi, Bernard/Grote, Jürgen R. (Hg.): Participatory Governance. Political and Social Implications, Opladen, Seite 51-69

Sending, Ole Jacobs/Neumann, Iver B. (2006): Governance to Governmentality: Analyzing NGOs., States, and Power, in: International Studies Quarterly (2006), 50 p. 651-672.

Smismans, Stijn (2003): European Civil Society: Shaped by Discourses and Institutional Interests, in: European Law Journal, Vol. 9, No. 4, September 2003, p. 473-495.

Young, Iris Marion (1993): Das politische Gemeinwesen und die Gruppendifferenz. Eien Kritik am Ideal des universalen Staatsbürgerstatus, in: Nagl-Docekal, Herta/Pauer-Studer, Herlinde (Hg.): Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge zur feministischen Ethik, Frankfurt a.M., Seite 267-304.

VII. Weiterführende Literatur

Barber, Benjamin (1994): Starke Demokratie, Hamburg

Benhabib, Seyla (Hg. 1996): Democracy and Differences, Princeton

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Greenwood, Justin (2003): Interest Representation in the European Union, New York.

Habermas, Jürgen (1999): Die Einbeziehung des Anderen, Frankfurt a.M.

Heinelt, Hubert/Panagiotis, Getimis/Smith, Randall (Hg. 2002): Participatory Governance in Multi-Level Context. Concepts and Experience, Opladen.

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Young, Iris Marion (2000): Inclusion und Democracy, Oxford.

[1] Die Verwendungen des Begriffs „Zivilgesellschaft“ sind so vielschichtig wie der Begriff selbst. Um sich von einer rein normativen Diskussion abzugrenzen wird hier „Zivilgesellschaft“, in Anlehnung an die Definition des Wirtschafts- und Sozialausschusses (ABl. 1999), insofern eingegrenzt, als sie Organisationen umfasst, die es Einzelnen ermöglichen, sich freiwillig zusammenzuschließen, einen kollektiven Willen zu bilden und ihre Interesse zu vertreten. Diese Organisationen sind NGOs, CBOs, Sozialpartner, Berufsverbände, gemeinnützige Einrichtungen, Religionsgemeinschaften, gesellschaftliche Basisgruppen etc.

[2] Vgl. Europe Rapid Press Releases: Reference: PRES/01/282

[3] vgl. Website „Civil Society Dialogue“ der GD Außenhandel: http://ec.europa.eu/trade/issues/global/csd/dcs_proc.htm [Stand: 11.06.2006].

[4] Legitimation wird hier als normativer Begriff verstanden, nämlich als Anerkennungswürdigkeit oder Zustimmungswürdigkeit eines politischen Systems im Sinne von Habermas. Wobei in Anlehnung an Lipset Legitimität auch als Fähigkeit eines politischen Systems verstanden wird, aktiv zu dessen Anerkennung beizutragen.

[5] Nach Art. 208 EGV kann der Rat die Kommission auffordern ihm Gesetzesvorschläge zu unterbreiten, womit er das ihm fehlende Initiativrecht durchsetzen kann.

[6] Die organisierte Zivilgesellschaft wird von der Kommission folgendermaßen definiert: „Gesamtheit aller Organisationsstrukturen, deren Mitglieder über einen demokratischen Diskurs- und Verständigungsprozeß dem allgemeinen Interesse dienen und welche auch als Mittler zwischen öffentlicher Gewalt und den Bürgern auftreten.“ (ABl. 1999: 33).

[7] „Consultation, the European Commission and Civil Society” ist eine umfassende Online-Datenbank der auf europäischer Ebene tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft und Gremien, in denen die Organisationen vertreten sind.